Ein Versuch, das Unwohlsein am Bestehenden in Worte zu fassen.
Was ist mit uns passiert?
Wir sind geboren in einer Zeit des Optimismus, des Glaubens an eine bessere Zukunft. Wissenschaft und Technik schienen den Weg frei zu machen für eine bessere Gesellschaft, Armut und Unfreiheit sollte Vergangenheit sein. Das Welthungerproblem sollte bis 1975 gelöst sein, zur Jahrtausendwende wollte man einen Stützpunkt auf dem Mond haben, zum Mars unterwegs sein und Rohstoffe aus dem Asteroidengürtel holen.
Wir sind aufgewachsen in einer Zeit des Pessimismus, das Zweifels. Der Fortschritt wurde zur Chimäre, Wissenschaft und Technik schafften mehr Probleme als sie lösten. Saurer Regen, Artensterben, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. No Future, Arbeitslosigkeit. Immer noch verhungerten Menschen. Niemand wollte mehr auf den Mond, die Erde war schon zu viel.
Wir sind erwachsen in einer Zeit des Wandels. Fest gefügte Strukturen lösen sich auf, der eiserne Vorhang ist weg, die großen Machtblöcke, der Ost-West-Konflikt sind nicht mehr. Landkarten müssen neu gemacht werden, Positionen und Theorien überprüft werden. Was gestern richtig war, ist heute hinfällig, überlebt. Sicherheiten gelten nicht länger, alles ist im Fluss.
Versuch einer Bilanz
Das ist zunächst mal nicht schlimm. Dinge verändern sich, Altes und Überlebtes muss dem Neuen, Besseren weichen. Viele Dinge haben sich verbessert, Umweltschutz ist ein Thema, an dem keine Partei mehr vorbei kann. Die technische Entwicklung hat das Internet mit seinen raum- und zeitübergreifenden Kommunikationsmitteln realisiert, Elektronik ist für viele erschwinglich, Kommunikation ist preiswerter geworden. Wir können trotz räumlicher Trennung in nie gewesenem Ausmaß Gedanken, Bilder, Musik und Filme austauschen.
Schlimm ist dagegen, dass wir dabei sind, auch Dinge, die wichtig sind, über Bord zu werfen. Dinge, die Generationen unserer Vorfahren unter Opfern und Leid erkämpft hatten. Dinge, die unsere Gesellschaft begründen, ohne die all das Andere sinnlos ist. Wir opfern die Aspekte unserer Gesellschaft, die diese ausmachen:
- Menschenwürde – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ [Art. 1 Abs. 1 GG]
- Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit [Art. 2 Abs. 1 GG]
- Meinungsfreiheit [Art. 5 Abs. 1 GG]
- Brief- Post- und Fernmeldegeheimnis [Art. 10 GG]
- Freizügigkeit [Art. 11 GG]
- Freiheit der Berufsausübung und Arbeit, Zwangsarbeitsverbot [Art. 12 GG]
- Sozialbindung des Eigentums [Art. 14 Abs. 2 GG]
Diese Rechte, die den Konsens unserer Gesellschaft begründen, sind durch vorgeblich demokratische Politiker in Gefahr oder zumindest für Teile unserer Bevölkerung ausser Kraft.
Wer arm ist und durch das Raster eines immer skrupelloseren Kapitalismus fällt, muss auf viele dieser Rechte verzichten. Tut er das nicht, droht der Entzug des Existenzminimums. Damit kann jemand, dessen einziges Problem fehlendes Eigentum ist, nicht an der Gesellschaft teilhaben, ist ausgeschlossen von freier Entfaltung der Persönlichkeit, Freizügigkeit und Freiheit der Persönlichkeit, Das, was man ihm zumutet, kann durchaus als Zwangsarbeit bezeichnet werden – tut er nicht, was ihm verordnet wird, droht der Entzug des Lebensnotwenigen.
Die Kernforderung der Arbeiterbewegung „Arbeit für gerechten Lohn“ wurde von der Partei der Arbeiterbewegung, der SPD, und den Gewerkschaften verraten zugunsten von Zwangsarbeit für Almosen, die wir alle noch mit Steuermitteln finanzieren dürfen.
Teilhabe an der Gesellschaft ist ohnehin Illusion, wenn schon diskutiert und verneint wird, dass ein Arbeitsloser gelegentlich auch mal ein Glas Bier, einen Kinobesuch, Internet, freie Fahrt in öffentlichen Verkersmitteln haben muss, wenn Kindern Konfirmationsgeschenke auf den Sozialgeldbezug angerechnet werden, wenn überlegt wird, ob man noch weiter sparen kann.
Auch Menschen, die nicht aus dem Raster gefallen sind, werden dadurch unter Druck gesetzt. Wer riskiert es denn, für seine Rechte einzutreten, wenn dann droht, in diese Situation abzurutschen? Klappe halten und durch ist dann die Devise – so werden Rechte so lange unterhöhlt, bis nichts mehr von ihnen übrig ist. Auf der gleichen Ebene wird die Politik erpresst: baut ihr nicht Arbeitnehmerrechte ab, schließen wir – die Arbeitslosenkeule ist inzwischen eine mächtige Waffe der Mächtigen und sorgt immer mehr dafür, dass wir den Rechteabbau auch noch mit öffentlichen Mitteln subventionieren. Von der Sozialbindung des Eigentums redet schon niemand mehr.
Gleichzeitig wird eine Terrorangst geschürt, die Menschen dazu veranlassen soll, ihre Rechte zugunsten von mehr Sicherheit aufzugeben. Die Bürger stehen unter Generalverdacht, ein Polizeistaat steht vor der Tür.
Was läuft schief?
Das Problem ist, dass jedem, der kristisiert oder es anders möchte, gleich die Globalisierungskeule an den Kopf geworfen wird – man könne nicht anders, der zu gehende Weg sei alternativlos. Ob das wirklich so ist, wird nicht hinterfragt. Dass Politik, Gesellschaft und Wirtschaft aber Konstruktionen sind, welche einem Zweck dienen, und man danach entscheiden sollte, wie man sie gestaltet, statt vorgeblichen Zwängen zu folgen, auf diese Idee kommt niemand mehr.
Eine Wirtschaft, die es nicht schafft, Wohlstand für einen großen Teil der Bürger zu schaffen und statt dessen immer größere Anteile der staatlichen Ressourcen auffrisst, verfehlt einfach ihren Zweck. Also muss man das anders machen. Das das gehen kann, beweist die Entwicklung in Island: nein, wir wollen keinen Rettungsschirm, wir packen die Probleme vor Ort an und helfen uns selbst. Hat funktioniert.
Auch die Griechen wollen nicht das, was die übrigen europäischen Länder ihnen zudenken und zumuten, das zeigen die Wahlergebnisse. Demokratisch ist es doch fast nirgends mehr zu vermitteln, warum man Banken retten sollte, während Menschen hungern und frieren. Statt zuzuhören, kriminalisiert man die Occupy-Bewegung und schränkt weiter die Grundrechte ein. Ein neuer Umgang tut not. Es kann doch nicht sein, dass die Superreichen, die man für die Profiteure der Situation halten sollte, nun verstärkt fordern, dass man sie besteuert, weil sie erkennen, dass die Stabilität der gesamten Gesellschaft durch ein zu starkes Auseinanderklaffen der Arm-Reich-Schere bedroht wird.
Fazit
Was wir tun müssen: definieren, was wir wollen, und dann tun, was uns da hin bringt. Die Gesellschaft zusammenbringen. Die Kreativität und denn Mut der Menschen finden und nutzen. Wer glaubt, tatsächlich keine Handlungsmöglichkeit haben, sollte in eine fatalistische religiöse Gemeinschaft eintreten aber bitteschön die Finger von der Politik lassen.
tl:dr
So gehts nicht weiter, „alternativlos“ ist keine Option. Wir brauchen eine freie, demokratische Gesellschaft, an der jede und jeder teilhat.