SEO und die Zerstörung des Web

ComputerMarco Zehe beklagt in seinem Blog zwei nicht barrierefreie Relaunches großer Websites. Interessanter noch als der Blogpost ist die anschließende Diskussion namhafter Experten, in der sich ein Zielkonflikt zwischen semantischem HTML und Barrierefreiheit auf der einen Seite und SEO auf der anderen Seite abzeichnet.

Das Problem

Wer semantische Seiten baut, muss damit rechnen, Position zu verlieren gegen dubiose technisch unsinnige Codekonstrukte, die nur zu dem Zweck entwickelt zu sein scheinen, die Wertungsmechanismen Googles zu überlisten und die Seite in den Suchergebnissen höher zu bringen.

Webseiten bauen für wen?

Das als Kollateralschaden die Barrierefreiheit als erstes geopfert wird, ist bedenklich. Es scheint so, das die Seiten nicht mehr für den Leser gemacht werden, der unabhängig vom Ausgabegerät (so sehen es die Webstandards vor) optimalen Zugriff auf die Inhalte haben soll, sondern für Google.

Wenn Google aber nicht barrierefreie unsemantische Webseiten bevorzugt, werden immer größere Teile (und zwar zuerst die qualitativ besseren) des Netzes unbrauchbar oder unauffindbar. Gefunden werden „SEO-optimierte“, aber nicht zugängliche Seiten mit möglicherweise auch noch maschinell generiertem Content statt hochwertiger Fachartikel. Ab diesem Zeitpunkt dürfte sich Google dann selbst ins Knie geschossen haben: je weniger man findet, was man sucht, desto weniger nützlich ist auch Google für den Benutzer. Der erfahrene Benutzer verfeinert die Suche oder nutzt andere Quellen, der unerfahrene Benutzer gibt auf oder beschränkt sich auf geschlossene Communities.

Randproblem Barrierefreiheit?

Bedauerlich ist, dass SEO derzeit ganz oben im Ranking der Entscheider zu stehen scheint und Barrierefreihet ziemlich weit unten, weil Barrierefreiheit als Randgruppenproblem gesehen wird. Barrierefreiheit ist aber kein Randgruppenproblem. Jeder hat Barrieren, nur sind diese unterschiedlich hoch. Ich mit meiner beginnenden Alterweitsichtigkeit konnte z. B. gestern abend beim Einrichten eines Fernsehers als Sichtgerät an einem Computer die Beschriftung der Fernbedienung nicht mehr lesen, meine kurzsichtige Freundin konnte nicht erkennen, was auf dem Schirm abging.

Barrierefreiheit nutzt allen – ein semantisch korrektes Dokument lässt sich maschinell weiterverarbeiten, sinnvoll vorlesen, ist strukturiert. Tastaturnavigation per Hotkey bringt auch mir einen Geschwindigkeitsvorteil, weil ich nicht extra zur Maus greifen muss, um an die gewünschte Information zu kommen.

Lösung

Webentwicklung
Webentwicklung

SEO muss sich dem unterordnen – zuerst kommt der Benutzer, dann die Suchmaschine. So, wie es im Moment ist, geht das nach hinten los, das Web wird schlechter zugänglich und damit weniger nützlich. Weniger nützlich bedeutet auch, dass man dann weniger Geschäfte darinnen machen kann und der Kuchen immer kleiner wird, den man sich teilen kann.

Google lanciert gerade wegen des drohenden Leistungsschutzrechtes eine Kampagne. Es würde gut anstehen, wenn man schon ein freies Netz propagiert, auch ein frei zugängliches, sich an offene Standards haltendes Netz zu fördern. Webstandards und semantisches HTML verletzendes SEO-Gefrickel gehört gnadenlos abgestraft, gutes Handwerk belohnt.

tl:dr

Die Bevorzugung dubioser nichtsemantischer Frickelkonstruktionen durch das Suchmaschinenranking verschlechtert die Zugänglichkeit und Nützlichkeit des Webs und bevozugt krumme Tricks vor gutem Handwerk.

7 Gedanken zu „SEO und die Zerstörung des Web

  1. Zum Glück wollen Suchmaschinen ja Websites finden, die gut für Menschen sind und nicht für Maschinen, daher wurden in Vergangenheit viele dieser SEO-Techniken abgestraft und werden in Zukunft noch mehr abgestraft werden. Der Markt wird sich bereinigen und am Ende werden die, die gelernt haben ordentliche, semantische und barrierefreie Webinhalte produzieren die Nase vorn haben.

  2. Hallo Frank,
    darüber ist zu diskutieren, spätestens am Montag.
    Barrierefreiheit schön und gut, hin und her, aber wenn Google eine Seite versteht, sollte sie von Screenreader auch verstanden werden.
    Letztendlich ist also die Frage, wer sich hier wem anpassen muss.

    Gruß

    Marc

  3. Google bevorzugt doch schon seit Jahren semantisch ordentliche Seiten… in SEO-Kreisen hält sich veraltetes Wissen um längst wertlose oder sogar kontraproduktive “Tricks” nur ewig…
    (liegt wahrscheinlich auch daran, dass Großkunden sich gerne technisch veraltete CMS und Websites andrehen lassen, dann bemerken dass niemand sie findet, und meinen die Lösung seien zwielichtige SEOs, die behaupten die Cheats zu kennen, wenn es ausreichen würde einfach eine moderne Seite zu betreiben…)

  4. in dem genannten Artikel wird u.a.moniert, dass es keine Überschriftenebenen gibt,
    das kann daher kein SEO verursacht haben, weil eine vernünftige Überschriftenhierarchie sehr wohl onpageOptimierung und somit die Aufgabe des SEOs ist.

    Was die dazu veranlasste so zu agieren weiß ich nicht, aber SEO kanns nicht wirklich gewesen sein.

  5. Die Entwicklung mit den reinen SEO-Seiten wird immer schlimmer. Hat man früher „Sessel“ bei Google eingegeben, wurden einem Seiten angezeigt, die viele Modelle zum Verkauf anbieten. Heutzutage werden die ganzen Keyword-Domains gepusht, dass in wenigen Jahren folgendes zu sehen ist:
    1. Sessel.de
    2. Sessel.com
    3.Sessel.net
    usw. …
    Fast alle Keyword-Domains werden aktuell für solche Seiten verwendet, die dem Leser 0 Mehrwert bieten und jedem Seitenliebhaber zur Weissglut treiben.

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