Schöne neue Softwarewelt …

Notebook
Notebook

Seit einiger Zeit geht der Trend weg von der lokal installierten Anwendung, hin zum Dienst in der Cloud. Desktop-Clients greifen neben Apps für mobile Geräte auf den gleichen Datenbestand zu und halten ihn synchron, man kann von überall unabhängig vom Gerät mit den Daten arbeiten. Das klingt praktisch und erstrebenswert. Das Problem, dass man seine Daten einem extrenen Anbieter anvertrauen muss, wird mit dem Unbehagen früherer Zeiten verglichen, sein Geld ausserhalb des Hauses einer Bank anzuvertrauen. Allenfalls ein Zeit- oder Gewohnheitsproblem. Prinzipiell wird alles besser, wir werden uns daran ebenso gewöhnen wie an die Banken.

So entsteht ein Geflecht von cloudbasierten Diensten, die zunächst zwar weniger Funktionen als gewohnte Desktopanwendungen bieten, dieses aber durch ihre universelle Erreichbarkeit und durch die Fähigkeit, zu mehreren gemeinsam auf Dokumente zuzugreifen, kompensieren. Da die meisten Nutzer ohnehin nur einen Bruchteil des Funktionsumfanges ihrer Software nutzen, scheint die Rechnung aufzugehen. Daten wandern in die Cloud, das Netz ist der Computer. Die Firma, die dieses Prinzip am Weitesten vorantreibt, ist Google. Von der Suchmaschine zum universellen Datentresor wandelt sich das Unternehmen – was man im eigenen Speicher hat, kann man leichter auffinden und archivieren als das, auf dessen Bestand man keinen Einfluss hat. Konsequenterweise bietet Google auch in Gestalt seiner Chromeboxen und Chromebooks Geräte an, die als intelligente Terminals einen Zugang bereitstellen, aber nicht mehr zur lokalen Datenhaltung taugen.

Kasse
Kasse

Vertrauen in diese Verfahrensweise entsteht dann, wenn die Deinste zuverlässig und performant verfügbar sind, wenn sie kontinuierlich über lange Zeiträume gepflegt und verbessert werden, Und da patzt Google. Im Zuge einer „Konzentration auf das Kerngeschäft“ werden interessante und attraktive Dienste eingestellt. Immer mit langer Vorlaufzeit und der Möglichkeit, seine Daten zu exportieren, das schon – trotzdem ist der Dienst erstmal weg, die Community zerfasert und User suchen neue Heimaten. Oftmals ist das kein großes Problem wie jetzt gerade bei Google Reader – es gibt einen Haufen Webdienste und Aggregatoren für alle Plattformen, der Community-Effekt ist vernachlässigbar.
Aber es gibt auch Dienste, bei denen das weh tut. Prominentes Beispiel hierfür ist Google Wave. Mai 2009 vorgestellt als die Zukunft der elektronischen Kommunikation vereinigte es Elemente von Mail, Chat, Filesharing und kollaborativer Arbeit im Team, bot ein einzigartiges Werkzeug zur Zusammenarbeit räumlich getrennter Teams mit einem gigantischen Potenzial. Doch schon im August 2010 verlor Google die Lust an dem Projekt und der Ansatz versank in Bedeutungslosigkeit, obwohl das Protokoll frei war und der Source als Open Source frei gegeben wurde. Vertrauen in Beständigkeit kann so nicht entstehen – wer möchte Geschäftsprozesse generieren, die mangels Werkzeug genau dann nicht mehr weiter zu führen sind, wenn sich gerade alle daran gewöhnt haben und produktive Arbeit möglich wird?

Schreibmaschine
Schreibmaschine

Nicht nur Google kämpft mit diesem Problem. Ubuntu bringt eine nutzerfreundliche Linuxdistribution heraus, die eine große Verbreitung bekommen hatte. Mit speziellen Events soll die Entwicklung von abgestimmten Anwendungen vorangetrieben werden, es werden Anwendungen prämiert und vorgestellt. Die meisten kommen leider nicht über ein Betastadium hinaus. Der geniale RSS-Reader Lightread (der leider von Google Reader abhing und dadurch obsolet wird) ist ebenso verwaist wie das geniale Wetter-Applet für den Unity-Desktop, bei welchem sein Monaten die Vorhersage nicht mehr funktioniert. Viele vielversprechende Anwendungen teilen dieses Schicksal und machen es sehr schwer, zu planen, auf Funktionen und Features zu setzen. Wie will es Linux auf den Desktop schaffen, wenn nicht garantiert werden kann, dass Features zumindest für die Lebensdauer eines Long Term Releases verfügbar sind, wenn Komponenten nach einem Jahr anfangen, nicht mehr zu funktionieren? Warum prämiert man Anwendungen, welche dann nicht weiter entwickelt werden. Sollte man nicht zumindest für die prämierten und empfohlenen Applikationen eine Mindestlebensdauer sicher stellen? Stattdesssen wird bei Ubuntu derzeit eine Sau nach der anderen durchs Dorf getrieben. es droht ein Wechsel des Displaymanagers von X11 zu Wayland, der 2D-Modus von Unity hielt gerade mal ein Release, bevor er durch Software-3D ersetzt wurde (was die Eignung für ältere, schlecht unterstützte Grafikchipsätze deutlich reduziert). Dafür wurde dann der rottige 3D-Treiber für ältere Intel-Chipsätze (das ist von Intel, die unterstützen Linux) gar nicht mehr repariert und die Installation auf einem Notebook mit den immer noch verbreiteten Centrino-Chipsätzen funktioniert nur noch mit einem alternativen Installationsmedium. Für ein System, was mal angetreten war, auch auf betagter Hardware produktive Arbyt zu ermöglichen, in Schwellen. und Entwicklungsländer den Einstieg in computerbasierte Arbyt zu ermöglichen, ist das eine traurige, vernichtende Bilanz.

tl:dr

Fehlende Kontinuität bei Webdiensten und Software tötet IT-Innovation. Klingt komisch, ist aber so 😉

4 Gedanken zu „Schöne neue Softwarewelt …

  1. Es ist bei Google ja bekannte Praxis, dass die Mitarbeiter einen Teil ihrer Arbeitszeit für eigene Ideen verwenden können. Wenn daraus halbwegs brauchbare Projekte werden, dann lässt Google diese als Beta-Version auf die Welt los. Wenn es nicht läuft wird alles wieder eingestampft. Ein ungewöhnliches Geschäftsmodell aber Google kann sich das wohl finanziell leisten.
    Wer echte Kontinuität möchte (gerade Unternehmen sind ja darauf angewiesen), muss nach wie vor dafür bezahlen.

  2. Bis vor einigen Monaten konnte ich mit Begriffen wie Cloud oder Dropbox nichts anfangen. Durch die Einladung eines Freundes bin ich dann jedoch auf die Dropbox aufmerksam geworden. Mittlerweile möchte ich meine Cloud nicht mehr missen und ziehe viele Vorteile aus dem gemeinsamen Arbeiten. Daten auf allen Geräten zur Verfügung zu haben ist ein großer Vorteil zu lokalen Festplatten.

  3. Cloud-Dienste wie Dropbox oder iCloud sind ungeheuer praktisch und deshalb auch sicher nicht mehr wegzudenken aus der neuen Softwarewelt. Allerdings ist das zumindest für Unternehmen nicht ganz ohne. Die Dienste sind meist in den USA beheimatet, wo die Gesetze zum Datenschutz ganz anders ticken. Außerdem bindet sich man ziemlich an einen Anbieter, der Wechsel ist mir dramtischem Aufwand verbunden. Eine Alternative können selber gehostete Lösungen wie OwnCloud sein. Da fällt zwar einiger Administrationsaufwand an, dafür hat man aber zu jeder Zeit die Kontrolle über die Daten.

  4. Und trotzdem schmerzt es auch bei Diensten wie dem Google Reader, wenn sie verschwinden, jetzt kann man sich erst einmal für alle Plattformen was Neues suchen, vorher gab es da einfach einen Dienst für alle Betriebssysteme.

    Im Unterschied zu Google halte ich es aber bei Diensten, wo man nicht nur mit seinen Daten, sondern mit Echtgeld bezahlt, für recht unwahrscheinlich, dass diese abrupt beendet werden.

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