Das generische Femininum und die Notwendigkeit, über Dinge zu reden

Huhn und Hahn
Huhn und Hahn

Wieder einmal eine Sprachdebatte. Nach dem Binnen-I der 90er wird nun darüber diskutiert, ob die Verwendung des generischen Femininums den Sexismus der Sprache heilen kann. Der politische Geschäftsführer der Piratenpartei Johannes Ponader macht am Beispiel seines Twitter-Pseudonyms vor, wie das aussehen kann: Piratin Johannes nennt er sich. Das irritiert, das polarisiert. Und es ist wichtig, dass es das tut. Aber es wirft das Postulat, „postgender“ zu sein, zurück in einer Debatte, die seit den 70er Jahren geführt wird.

Sprache ist sexitisch

Kritiker führen wieder an, die übliche, männliche Form sei nicht diskriminierend, Frauen seinen immer „mitgemeint“. Es sei einfach gewachsenen Sprachtradition. Das ist so nicht richtig.

Sprache formt das Denken. Was wir nicht aussprechen können, nicht formulieren können, bleibt vages Gefühl, kann nicht Gedanke werden. Ist Sprache patriarchalisch, dann ist es auch das Denken.
Ist eine junge Frau, die die Frage nach ihrem Beruf mit „Schreiner“ beantwortet, im Patriarchat gefangen oder Postgender?
Aufgewachsen in einer Region, in der der weibliche Teil der Bevölkerung mit dem sächlichen Artikel belegt wird („Das Erika hat heute aber eine schicke Frisur“) und ihm damit in letzter Konsequenz explizit der Personenstatus abgesprochen wird, mache ich mir keine Illusionen über den Umfang des Problems. Postgender ist da weit weg, würde das Problem verkleistern. Schon die Gender-Debatte zu führen ist ein kompliziertes Unterfangen. Darüber kann man ein wenig erfahren, schaut man sich den Diskurs um das Binnen-I in den 90er Jahren an.

Sprachexperimente im Elfenbeinturm

Menschen versuchen, mit der Benutzung des generischen Femininum das Denken zu verändern. Ein schöner Beitrag, der explizit die Intention verdeutlich, findet sich unter GENERISCHES FEMININUM – GoldGlitzer. Kürzer formuliert das @livenletflausch auf Twitter:
Nach ein so vielen Jahren „generischen“ Maskulinums können wir doch mal genausolange generisches Femininum verwenden„.
Prinzipiell eine bestechende Idee – das Denken umdrehen, in dem die Sprache umgedreht wird. Wenn Sprache das Denken formt, dann sollte das doch gerade das Werkzeug sein, welches ein Umdenken auslösen könnte. Dazu muss es sich breit und tief durchsetzen, viele müssen mitmachen. Argumete der Gegner „die gebräuchliche Form sei einfacher und schöner“ sind keine wirklichen Argumente, das ist lediglich der Wunsch, beim Gewohnten zu bleiben, nichts ändern zu müssen.
Das Problem löst das Generische Femininum nicht: „Warum werden eigentlich stets die Eichhörnchen vergessen? Generisches Femininum – was ist mit denen, die beides nicht sind?“ antwortet @tux0r @JohannesPonader auf Twitter, und @FuzzyLeapfrog twittert: „Generisches Maskulinum. Generisches Femininum. Generisches Neutrum. Die Welt ist zu bunt, als dass eins davon ihr gerecht würde.

Heraus auf die Straße

Das wirkliche Problem ist ein immanentes Problem von Sprache: Sprache vermittelt Inhalte. Irritiere ich meine Gegenüber durch ungewohnte Sprachkonstruktionen, haben wir eine Diskussion über Sprache (und eine darauf aufbauende Genderdiskussion im Falle des generischen Femininum) und können da nur nur noch schwer unsere Positionen zu Bestandsdatenauskunft, Fracking oder bedingungslosem Grundeinkommen vermitteln.
Der Diskurs über die Sprache überlagert die Inhalte. Die Sprachdebatte kann verhindern, dass wichtige Positionen „ankommen“.
Sollten wir die Sprachdiskussion deshalb lassen? Bleibt alles beim Alten? Nein, das nicht. Aber wir dürfen das Problem nicht unterschätzen und sollten in einer konkreten Sachdebatte *zuerst* unsere Positionen vermitteln, bevor wir in die Metaebene gehen. Wir müssen Menschen dort abholen, wo sie stehen, um verstanden zu werden. Wir sollten Formen finden, patriarchale Sprache zu überwinden, ohne in jeder Sachdiskussion erst einmal eine Sprachdiskussion führen zu müssen. Gleichzeitig muss natürlich eine Sprachdiskussion in allen Ebenen der Gesellschaft geführt werden, das Thema muss auf die Tagesordnung. Aber eben nicht auf jede …

tl;dr

Wenn seltsam ich rede, meine Seltsamkeit Thema ist, und nicht, was ich will sagen. Sprachdebatte Sachdebatte sabotieren kann.
Wir müssen reden.

4 Gedanken zu „Das generische Femininum und die Notwendigkeit, über Dinge zu reden

  1. Ohne Kommunikation findet nun mal kein Austausch Statt! Da sind missverständnisse bereits vorprogrammiert ohne das jemand dazu etwas gesagt hat.

  2. „Piratin Johannes nennt er sich.“

    Das ist Schwachsinn, sofern er nicht transsexuell ist.

    Und postgender ist „Piratin“ ganz sicher nicht, sondern genau das Gegenteil. Postgender kann es nur dann geben, wenn das Geschlecht physisch abgeschafft wird. Dazu wäre entweder ein Eingriff in das menschliche Genom oder die Übertragung der Menschlichkeit auf intelligente Maschinen notwendig. Das eine wie das andere in Kombination mit künstlicher Reproduktion. Da weder das eine noch das andere heute technisch möglich ist, können sich die Idiotinnen ja überlegen, ob sie sich nicht in der Hoffnung einfrieren lassen, in 20000 Jahren schadlos wieder aufgetaut werden zu können. Das wäre gut für alle Beteiligten, glaub ich.

    Ich habe mir aber eben eine Bekanntmachung der Uni Karlsruhe durchgelesen, in der das generische Femininum verwendet wird. (Siehe „http://www.informatik.kit.edu/downloads/promotion//01_Promotionsordnung_15_08._2006.pdf“.) Im Briefkopf steht trotzdem „Rektor“ und nicht „Rektorin“. Die Lesbarkeit der Bekanntmachung wird nur indirekt gestört, u. z. weil die Lesegewohnheit gestört wird. Ich hatte das Gefühl, mich daran gewöhnen zu können. Man (!) kann sich ja an vieles gewöhnen. Aber offen gesagt: Ich will nicht. Dem Denken mag das ja gut tun, aber der Sprache nicht. Deutsche Wörter sind eh schon recht lang.

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