Retro for Future

Polaroid Kameras
Polaroid Kameras

Immer wieder mal blogge ich über alte Technik und anderen Retro-Kram. Manche mögen denken, das habe mit einer nostalgischen Grundhaltung zu tun, mit einer rückwärtsgewandten Sehnsucht nach einer irgendwie gearteten „guten alten Zeit“.

Das Gegenteil ist der Fall. In der Vergangenheit gab es gute und weniger gute Dinge, und die Technik war einfach noch nicht so weit. Man kann das bedauern oder begrüßen – aber ein handliches Telefon mit dem Funktionsumfang eines Trikorders der Sternenflotte war in den 80ern noch nicht vorstellbar. Es ist eine tolle Sache, von fast überall und jederzeit Zugang zur größten Bibliothek des Planeten zu haben, in jeder pasenden und unpassenden Situation fotografisch dokumentieren zu können, was einen bewegt, sich den Film seines Lebens mit dem passenden Soundtrack unterlegen zu lassen oder immer nach Hause zu finden. Tolle Möglichkeiten, die auch, wie die Abhörskandale der letzten Zeit zeigen, ihre Schattenseiten haben, die uns auf ganz neue Art angreifbar machen und uns vor Herausforderungen stellen, die wir uns früher nicht vorstellen konnten.
Warum also befasse ich mich mit dem alten Kram?

 

Das Objekt entzieht sich uns

Sharp PC-1251 mit Dockingstation CE-125
Sharp PC-1251 mit Dockingstation CE-125

Schaue ich mir aktuelle Gadgets an, fallem mir mehrere Dinge auf:
DIe Miniaturisierung ist extrem fortgeschritten. Ein Nachrüst-UKW-Empfänger für meinen MP3-Player, der kleiner als eine Zigarettenschachtel ist, ist kleiner als der Nagel meines kleinen Fingers. Ein Taschenradio in der Größe einer Zigarettenschachtel empfand ich als Kind winzig und kompakt. Im Vergleich zum tragbaren Cassettenabspieler der 80er, der ja auch schon zur knappen Hülle um die Kassette optimiert wurde, ist dieser MP3-Player winzig. Und auch der ist schon veraltet und obsolet – jedes Smartphone kann seine Funktion uneingeschränkt nebenbei mit erledigen, ohne dass man ein weiteres Gerät mit sich herum schleppen müsste. Diese Miniaturisierung führt aber dazu, dass wir mit Wunderkistchen herumlaufen, deren Funktion wir weder verstehen noch visuell erfassen können. Ein elektronischer Bilderrahmen, ein Navigationsgerät, ein Telefon, ein Internetterminal, eine Kamera – das ist ein Gerät: ein Touch-Bildschirm vor einem mehr oder weniger dünnen Gehäuse. Die Funktionialität ist prinzipiell in Software realisiert und dem Gerät nicht anzusehen. Niemand kann mehr aus der Form auf die Funktion schließen.

Telefone
Telefone

Alte Technik ist da anders: die äussere Form folgt der Funktion. Beim Anschauen des Gerätes sieht man intuitiv, wie es funktionieren könnte. Man nimmt eine Kamera oder ein Telefon in die Hand, man hat eine Funktionalität, die sich erforschen lässt. Geht man weiter und zerlegt das Gerät, kann man sehr genau feststellen, wie es funktioniert – man hat nicht nur eine Platine und einen Akku vor sich, sondern mechanische Verschlüsse, Mikrofone und Lautsprecher, Zahnräder, Transportvorrichtungen und so weiter.

 

Das Begreifbare verschwindet

Polaroid 1500
Polaroid 1500

Ob ein Foto analog auf ein chemisches Filmmaterial fällt oder einen digitalen Sensor, ist für den Vorgang des Fotografierens unerheblich. Eine alte Analogkamera ist jedoch (sieht man von den fantasischen Spionagekameras der Firma Minox  einmal ab) so groß, dass man ihre Funktionsweise verstehen kann, das Linsensystem sieht.

Wer einmal Analogfilm selbst entwickelt hat, hat den Prozess der Umsetzung der Lichteinwirkung auf das Filmmaterial, das Entwickeln von Negativen und anschließendes Abziehen auf Fotopapier miterlebt und ein tiefes Verständnis der zurgrundeliegenden Technik erworben.

Compact-Cassette
Compact-Cassette

Ein Kassettenrekorder zeigt Transportwellen und Tonkopf, man sieht, wie das Band geführt wird und wie die Speicherung der Musik funktioniert. Beim MP3-Player sehe ich nichts davon.

Dampfradio
Dampfradio

Schalte ich mein Android-Tablet ein, ist es sofort da. Ein alter Rechner bootet und zeigt dabei die Schritte der Herstellung seiner Betriebsbereitschaft an. Ich kann sehen, in welcher Reihenfolge sich das System durch Hard- und Softwarekomponenten arbeitet, bis es mir einen Prompt oder ein Login anbietet und ich mit der Arbeit daran beginnen kann. Nicht zuletzt die Betrachtung dieses Vorgangs hat bei mir eine immer noch anhaltende Faszination gerade unixoider Betriebssystem ausgelöst und motiviert mich immer noch, verstehen zu wollen, womit ich arbeite.

PolaroidkameraSchade finde ich, dass durch diesen Verlust an Begreifbarkeit auch ein guter Teil Neugier verschwindet. Junge Menschen erwarten, dass etwas funktioniert. Tut es das nicht, wird es ersetzt. Machen kann man wenig. Das unterschiedet sich diametral von der Lebenseinstellung von Menschen, deren Jugendprojekt es vielleicht war, ein Detektorradio zu bauen oder die ihre Schwarzweissfotos selbst entwickelt hatten. Ein wenig davon kann man wieder entdecken, wenn man sich mit obsolet gewordener Technik beschäftigt.

 

Tun, nicht reden

Dies soll kein Rant werden, kein Bejubeln alter Zeiten oder Verdammen der Gegenwart. Nein, es soll eine Einladung dazu sein, Neugier zu entwickeln, verstehen zu wollen und zu entdecken, dass das Spaß machen kann. Ob nun jemand sich einen oder mehrere Raspberry Pi zulegt und damit experimentiert oder sich mit alter Technik befasst, ist Geschmackssache – vielleicht geht auch beides. Ich habe heute die Domain http://www.retronautik.de/ eingerichtet – dort werde ich von Zeit zu Zeit Projekte anbieten, die sich mit alter Technik befassen und gerade dadurch einen neuen Blick auf unsere Gegenwart öffnen. Schaut gelegentlich rein, vielleicht ist ja was Interessantes dabei.

6 Gedanken zu „Retro for Future

  1. Also ich muss sagen, ich finde manchen Retrokram suuuuper!
    Z.B. ein habe ich ein altes Kastenradio, richtig old school, aber ich würde es für kein neues Tauschen.
    Der Ton, der aus dem Radio kommt ist einfach was besonderes, außerdem liebe ich die Retrooptik.
    Klar, ich würde mein Smartphone nicht mehr gegen ein Handy von damals mit Antenne tauschen, dennoch finde ich haben manche Geräte ihren Reiz nie verloren…

    Liebe Grüße
    Lisa

  2. Wenn ich so alte Schätzchen sehe, geht mir immer wieder das Herz auf! Auch wenn die obigen gezeigten Geräte alle in mein kleines Smartphone passen, ist es doch auch hin und wieder schön, ein Telefon in der Hand zu haben, welches auch danach aussieht und nur für diesen Zweck gemacht wurde.

  3. Wenn man bedenkt, dass die oben dargestellten Geräte so ca. 20-30 Jahre alt sind und wie rasant die Entwicklung daraus bis heute voran geschritten ist, bin ich gespannt wie die Geräte in 20-30 Jahren aussehen werden.

  4. Ich finde auch,dass ein Mix von Retro und neuer Technologie oft sehr reizvoll ist auch aus Gründen der Nachhaltigkeit schön und sinnvoll

  5. Wie gärne hätte ich eine Polaroid Kamera! Aber die Filme sind einfach viel zu teuer 🙁 Doch mit einer Digitalkamera macht man tausend Fotos und schaut sie nie mehr an, bis sie irgend wo auf einer Harddisk landen und in Vergessenheit geraten…

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