Zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Ein #rant

Schaf
Schaf

Die derzeitiige politische Entwicklung folgt einem globalisierten Turbokapitalismus. Jeder Versuch, die Erosion von Rechten und Lebensmöglichkeiten aufzuhalten oder mindestens zu verlangsamen, wird sofort zerredet und als Schädigung der Wirtschaft diskreditiert. Es ist erschütternd, dass eine Regierung wie die der großen Koalition als „sozialdemokratisch“ gilt – ist sie doch dem Wohl der Wirtschaft als oberstem Ziel verpflichtet. Niemand hinterfragt den organisierten Abzug des Vermögens von Bevölkerung und Staat hin zu privaten Konzernen, deren einziges Ziel zu sein scheint, immer mehr Vermögen an sich zu ziehen. Dass dabei immer größere Teile der Bevölkerung verarmen und verelenden, wird billigend in Kauf genommen, so kann man Maßnahmen und Einschränkungen gegen die, denen es noch relativ gut geht, legitimieren – die Angst, auch abzurutschen, bringt sie dazu, jeder Zumutung zuzustimmen. Das sieht man immer wieder in Verhandlungen mit Gewerkschaften – für das vage Versprechen, Arbeitsplätze zu erhalten oder langsamer abzubauen, werden in jahrzehntelangem Streit erkämpfte Rechte verkauft. Gold gegen Glasperlen – das funktioniert immer noch.

An die schon in den 80er Jahren gepredigte Doktrin des Überlaufens, wenn man oben fördere, sickere der Wohlstand nach unten durch, glauben inzwischen wohl nur noch die, die auch an die Zahnfee glauben. Es sickert nichts durch, die Gier ist ungebrochen.

Schafe
Schafe

Unter der falschen Flagge der „ausserparlamentarischen Opposition“ schießt derweil die rechtsorientierte Boulevardpresse auf die Reste von Solidarität und Menschlichkeit und findet in politischen Vaganten des liberalen, konservativen und rechtsextremen Lagers, die sich mit großindustriellem Geld gesponsort in einer Partei manifestiert haben (fällt da niemanden eine Paralelle in der Geschichte auf?) ihren politischen Arm.

Jegliche Kritik an diesen Verhältnissen wird mit dem Totschlagargument Globalisierung abgeschmettert, der zu gehende Weg sei alternativlos. Niemand stellt mehr die Kernfrage, nämlich die, ob dieser Weg den intendierten Zweck einer Volkswirtschaft überhaupt erfülle.

„Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfasssung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.“

Schafe
Schafe

Dies schreibt die CDU Nordrhein-Westfalen im Jahr 1946 in ihr Programm. Wirtschaften dient einem Zweck, dem Zweck, eine Bevölkerung nicht nur zu versorgen, sondern ihr „Wohlergehen“ zu gewährleisten. Von diesem Zweck redet heute niemand mehr. Um diesen Zweck zu erreichen, forderte die CDU eine starke Kontrolle der Wirtschaft: „Planung und Lenkung wird auch in normalen Zeiten der Wirtschaft in gewissem Umfange notwendig sein, was sich aus unserer Auffassung ergibt, dass die Wirtschaft der Bedarfsdeckung des Volkes zu dienen hat.“

„Die neue Struktur der deutschen Wirtschaft muss davon ausgehen, dass die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist. Es muss aber ebenso vermieden werden, dass der private Kapitalismus durch den Staatskapitalismus ersetzt wird, der noch gefährlicher für die politische und wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen sein würde. Es muss eine neue Struktur der Wirtschaft gesucht werden, die die Mängel der Vergangenheit vermeidet und die Möglichkeit zu technischem Fortschritt und zur schöpferischen Initiative des Einzelnen lässt.“

In das Rechtsdenken der Bundesrepublik Deutschland Eingang gefunden haben diese Ideen insbesondere im Artikel 14 Abs. 2 des Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Diese Sozialbindung des Eigentums, die übrigens auch schon in der Weimarer Verfassung von 1919 (§ 153, Abs. 3) niedergeschrieben wurde, sollte eine Eskalation, die eine Verselbstständigung des wirtschaftlichen Handelns weg von ihrem eigentlichen Zweck hin zu einer reinen Akkumulation verhindern. Das, was man verhindern wollte, tritt nun ein. Und mit dem Eintreten von Deregulation und Unsicherheit regen sich die selben Kräfte wie am Ende der Weimarer Republik, die davon profitieren und die desorientierten Massen für ihre perfiden Zwecke nutzen.

Der soziale Friedensvertrag der Bundesrepublik basierte auf der Zuversicht, dass jeder mit seiner Kraft sich und seiner Familie eine Existenz sichern könne und dass die, die das nicht schaffen, versorgt würden. Dieser Friedensvertrag wurde ausgehöhlt und gebrochen. Wer in Not gerät, sieht sich Schikanen und Zwangsarbeit ausgesetzt, verliert seine persönliche Freiheit und ist häufig der Willkür von Sachbearbeitern ausgesetzt, die aus Angst, selbst auf der anderen Seite des Schreibtisches zu stehen, jede Schikane durchführen. Die Würde des Menschen – nach Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“) wird mit Füßen getreten, Menschen werden zu Objekten degradiert.

tl:dr:
Der soziale Friedensvertrag wurde gekündigt, die Gesellschaft destabilisiert. Die Politik agiert mechanisch, ohne Sinn und Zweck zu hinterfragen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Ahlener_Programm
http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialpflichtigkeit_des_Eigentums

2 Gedanken zu „Zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Ein #rant

  1. Gute Wirtschaft – guter Sozialstaat?

    Sie schreiben, dass sich die Regierung unter der Großen Koalition der Wirtschaft als oberstes Ziel verpflichtet hat und deshalb eigentlich nicht mehr als sozialdemokratisch gelten dürfte. Aber was, wenn nur das eine mit dem anderen funktioniert? Braucht ein Land nicht eine funktionierende und florierende Wirtschaft um auch einen gut ausgebauten Sozialstaat, wie wir ihn in Deutschland doch haben, auch finanzieren zu können? Woher sonst soll all das Geld für die Leistungen vom Staat für die in Not geratenen und Schwächeren kommen? Etwa nach dem Grundsatz „Eigentum verpflichtet“, den Sie ja auch erwähnen, aus der Mittelschicht, in der die kleinen Familien dauerhaft sparen müssen, um das Eigenheim abzubezahlen. Genau diese Familien werden dann in vielen Situationen, in denen es vielleicht dringend nötig wäre, nicht vom Staat unterstützt – schließlich hat man ja ein Eigenheim. Ist das gerecht?
    Es gibt im deutschen Sozialstaat und in der derzeitigen Sozialpolitik sicherlich noch viel Handlungsbedarf und viele Aspekte, die noch verbessert werden müssen, um die Schwachen und in Not geratenen angemessen zu unterstützen und zu versorgen. Aber wäre die deutsche Wirtschaft nicht so gut aufgestellt und das auch international, wer weiß, ob unser Sozialstaat dann so aufgestellt wäre, wie er es heutzutage ist?

    1. Genau das ist, was erzählt wird, und genau das ist so falsch. Es findest gerade keine Mittelstandsförderuntg statt. Gerade der Mittelstand trägt die größten Lasten, bezahlt und wird ausgeblutet von der Umverteilung – einerseits brechen unten die Kunden weg, weil sie sich vieles nicht mehr leisten können, andererseits werden die Belastungen immer größer. Das Erwirtschaftete verschwindet derweil in der Blase der Finanzspekulation oder wird dem Kreislauf entzogen und angelegt oder verspekuliert. Nachlesen kann man das sehr schön in Sahre Wagenknechts Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ (ihre politische Einstellungt muss man nicht teilen, um die grundlegende Richtigkeit ihrer Analyse zu benmerken).

Kommentare sind geschlossen.