Ein Beitrag zu Wertedebatte und Richtungsstreit in der Piratenpartei.
Im Moment toben zwei Debatten, die sich miteinander vermischen, durch die Piratenpartei: Eine Werte- und Positionendebatte und eine Diskussion über den Umgang miteinander. Leider überschattet der unterirdische Umgang der unterschiedlichen Gruppen miteinander die sinnvolle und notwendige Debatte über den politischen Kurs und gefährdet diese. In diesem Blogpost geht es zunächst um den politischen Teil der Debatte – möglicherweise ist der Graben gar nicht so tief, wie kolportiert wird, wenn man sich die Positionen einmal im kritischen Kontext anschaut.
Die Bibel der Liberalen
Der sozialliberale Flügel argumentiert mit dem Bekenntnis zur Freiheitlich Demokratischen Grundordnung (FDGO), die ihren Ausdruck im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland findet und die es zu schützen und zu verteidigen gelte. Nun ist die FDGO ein Anspruch, normatives Recht, dessen konkrete Ausgestaltung immer wieder neu verhandelt werden muss. Der gesellschaftliche Diskurs entscheidet über die konkrete Ausgestaltung dessen, was wir als FDGO bezeichnen. Es gibt da eine Bandbreite, vergleicht man das Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947 mit der heutigen Austeritätspolitik, erkennt man, was alles möglich wäre, ohne die Grundlagen der FDGO zu verlassen.
Ist die FDGO überhaupt erlebte Realität?
Wir stellen das mal in Frage war mal eine urpiratige Aussage. Die blinde Akzeptanz einer konkreten Interpretation der FDGO ist das nicht. Fragen, die zu stellen sind, wären, ob HartzIV der FDGO entspricht, die Überwachung der Bürgerinnen und Bürger und unser Umgang mit Flüchtlingen. Die Positionierung gegen eine „marktkonforme Demokratie“ zugunsten eines demokratiekonformen Marktes darf sehr wohl zu einer kapitalismuskritischen Haltung führen.
Wer definiert die FDGO?
Was der FDGO entspricht und was nicht ist also kontinuierlich in Frage zu stellen und immer wieder neu zu definieren. Wächter müssen immer auch Verteidiger sein. Wir alle müssen immer wieder schauen, wohin die gesellschaftliche und politische Realität sich wendet, und Bedrohungen abwenden und den humanitischen Kodex der FDGO verteidigen. Dies wird uns seit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes schwer gemacht, der weltweite Turbokapitalismus wird als alternativlos und unvermeidlich dargestellt. Damit wird die FDGO zum Spielball eines entfesselten Wirtschaftssystems, chancenlos im Sturm der Kräfte.
Viele liberale Piraten bekennen sich zum Verzicht auf Gewalt. Dies erscheint in einer demokratischen Gesellschaft sinnvoll. In der derzeitigen Situation führt das aber dazu, dass Menschen als Diskurspartner abgelehnt werden, die die Gewaltfrage dem Widerstandsrecht aller gegen Tendenzen zur Beseitigung der FDGO gegenüberstellen. Wo ist hier das piratige „wir stellen das mal in Frage“? Gewalt hier und jetzt als Mittel der politischen Auseinandersetzung abzulehnen halte ich für grundsätzlich richtig, die Diskussion darüber, ab wann das anders zu sehen ist, sollte aber kein Tabu sein. Was machen wir in einer Putschsituation, was machen wir dann, wenn die demokratischen Grundwerte immer weiter erodiert werden? Was machen wir, wennn das Gewaltmonopol des Staates unsere Grundrechte einschränkt statt sie zu verteidigen?
Eine gute Darstellung der linken Position lieferte @TheCitizen_de in seinem Blogpost „Piraten statt Angst“. Diese greift in vielem zu kurz und ist zu wenig visionär – viele piratige Positionen sind post-links, überlagern das konventionelle Schema durch mutige quergedachte Ideen. Das Bedingungslose Grundeinkommen als links zu reklamieren, ist eine steile These. Linke Sozialpolitik ging immer von der Verpflichtung aus, an der Gesellschaft mitzuarbeiten, seinen Beitrag zu leisten. Wer dies nicht vermag, dem wird geholfen. Das Konzept des Wohlfahrtstaates ist links, ein Konzept, dass es zu überwinden gilt, weil es der freien Entfaltung des Menschen und der Entwicklung seines Potenzials genauso im Wege steht wie das derzeitige System, das den Menschen zu gnadenloser Anpassung an immer härter werdende Bedingungen zwingt.
Deshalb bin ich Pirat und nicht bei der Linken. Und deshalb will ich auch keine SPD/FDP mit Netzanschluss, sondern eine mutige Bewegung, die Politik neu denkt und umsetzt. Ich würde lieber die Begriffe „libertär“ und „humanistisch“ statt des ausgetretenen „sozialliberal“ verwenden und nach vorn blicken statt zurück in die 70er Jahre .
tl;dr
Die derzeitige mit persönlichen Tiefschlägen geführte Debatte ist politisch nicht unversöhnlich. Eine Synthese der Positionen böte die Option einer neuen, wirklich nach vorne gerichteten Politik der Synthese des Besten beider Welten statt eines Weitermachens in ausgetretenen Pfaden.
Zu Gewalt:
Wenn ich denke das man die FDGO verteidigen bzw. neu definieren kann indem man sich politisch betätigt engagiere ich mich in einer Partei und verzichte auf Gewalt.
Wenn ich denke das man die FDGO durch Politik nicht mehr ändern kann sondern sie mit allen Mitteln gegen gewalttätige Kräfte (Diktatur, Polizeistaat) verteidigt werden muss engagiere ich mich ausserhalb der parlamentarischen Politik im z.B. Untergrund.
Beides zur gleichen Zeit (Ich sitze im Abgeordnetenhaus und bejubele gleichzeitig Krawalle gegen die Staatsmacht bzw. verteidige linke Gewalt als nicht so schlimm wie rechte Gewalt) kann man machen, macht einen aber dann irgendwie unglaubwürdig oder feige …. je nach Sichtweise.
Gewalt: Einem agent provocateur auf einer Demo den Stein aus der Hand schlagen; Ein DDoS auf den Steuerserver des Bundestrojaners; Als Diensteanbieter Serverplatten vor der Beschlagnahmung überschreiben; Bei der Wohnungsdurchsuchung die SD-Karte mit den Informationen, die den Whistleblower enttarnen können, vernichten; Sitzstreik auf dem Rollfeld des Flughafens, von dem aus Enthüllungsjournalisten ausgeliefert werden;…