Progressiv ins 19. Jahrhundert?

Maulschlüssel
Maulschlüssel

Gestern stolperte ich auf Twitter über eine Äusserung von Bruno Kramm zur politischen Programmatik, wie er sie sich vorstellt:
Geistiges Eigentum abzulehnen ist 1.Schritt, der 2te, Privateigentum an Produktionsmitteln abzulehnen und der 3. das #BGE #Commons(ense)„.

Kramm gehört zu den „progressiven“ Piraten, die einen linksradikalen Kurs befürworten.

Der Tweet zieht eine kausale Entwicklungslinie zwischen der Arbeit am Urheberrecht, dem Eigentum an Produktionsmitteln und dem Bedingungslosen Grundeinkommen.

Leider haben die drei Punkte sehr wenig miteinander zu tun und sind schon gar nicht kausal aufeinander aufbauend.

Die Ablehnung geistigen Eigentums, wie Kramm verkürzend die Arbeit an einem gerechten, Fortschritt fördernden statt hemmenden Urheber- Patent und Nutzungsrecht geistiger Leistungen nennt, ist unabhängig von allen weiteren gewünschten und möglichen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen ein notwendiges, schnell zu erreichendes Ziel – steht doch die Chance auf Freiheit und Fortschritt gegen Stagnation und Abhängigkeit von Rechte(in)habern. Egal, wie wir eine zukünftige Gesellschaft organisieren, erhalten oder verändern mögen, hier werden die Weichen gestellt, ob der Kurs von einigen wenigen oder demokratisch von allen gesetzt wird. Es geht hier um ein klassisches Piratenthema, das der Teilhabe.

Schreibmaschine
Schreibmaschine

Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) soll laut Kramm erst nach der Revolution (ich persifliere die Transformation der Produktionsmittel mal so) kommen, also möglicherweise nie. Eines der wichtigsten Instrumente, seine Freiheit auch praktisch leben zu können, statt sich zum Lebensunterhalt verkaufen zu müssen, soll erst dann kommen, wenn man es nicht mehr braucht? Sind die Produktionsmittel im Volkseigentum, muss das nur noch verteilt werden, alle partizipieren und wir bräuchten kein BGE.

Das BGE ist gerade im Kapitalismus notwendig und ein Game Changer – durch die Möglichkeit, nein zu sagen und nicht jede unwürdige Arbeit annehmen zu müssen, ist auch der Mittellosen zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit frei. Der Markt ist endlich offen und kann sich selbst regulieren – für sinnentlehrte und entfremdete Arbeit werden sich Wenige finden, und wenn, werden die sich teuer verkaufen, während viele sinnvolle, wenig bezahlte bisher vernachlässigte Tätigkeiten wie Kunst, Musik, Kindererziehung übernehmen können, die bisher dafür keine Zeit haben. Das BGE muss also schnell kommen, schneller als eine Transformation der Produktionsmittel durchgesetzt und realisiert werden könnte (marxistische Splitterparteien haben 0,1 – 0,5% Zustimmung bei Wahlen, Tendenz stagnierend).

Schraubendreher
Schraubendreher

Schaut man sich die Produktionsmittel einmal an, so fällt auf, dass diese gesamtwirtschaftlich an Bedeutung verlieren. Was in der IT seit den 80er Jahren und der Publizistik seit der allgemeinen Zugänglichkeit des Internets begann, setzt sich durch die Verfügbarkeit von 3D-Druckern nun in der dinglichen, der Hardwarewelt fort. Die Schwelle, etwas produzieren zu können, wird immer geringer. Wird sie geringer, ermöglicht sie größeren Teilen der Bevölkerung, am Prozess der Innovation und Produktion teilzunehmen.

Vor der Industrialisierung waren die Leinweber selbstständig. Mit ihrem Webstuhl besaßen sie die Produktionsmittel, entschieden, wie lange sie arbeiten wollten und zu welchen Bedingungen. Die Erfindung der „Spinning Jenny“ nahm ihnen diese Freiheit und machte sie zu abhängigen Arbeitssklaven, die durch den Druck des Hungers zur Arbeit gezwungen wurden.

Heute können wir uns die Produktionsmittel wieder holen – zum Herstellen von Software oder zum Publizieren reicht ein einfacher Rechner, zum Herstellen von Gegenständen bald ein ebenso günstiger 3D-Drucker. Das gekoppelt mit einem BGE, damit niemand unsere Kreativität stoppen, uns in stupide Tretmühlen zwingen kann, würde unsere Gesellschaft weiterbringen, das ist die Utopie der Piraten. Und nicht ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert, dass dort, wo es probiert wurde, eher suboptimale Resultate hervorbrachte. „Progressiv“ ist das nicht, die Probleme des 21. Jahrhunderts mit den Mitteln des 19. lösen zu wollen.