Zum Selbstbild des Christentums – ein Rant

Gargoyle
Gargoyle

Neulich bestand mal wieder ordentlich Schnappatmungsgefahr. „Das Christentum hat die Welt um so vieles besser gemacht“ – dieser Satz wurde in einem Thread irgendwo im Netz geschrieben. Mir blieb zunächst die Luft weg – denke ich an Christentum, denke ich an über Tausend Jahre Herrschaft und Unfreiheit, dann höre ich die Schreie aus den Folterkellern der Inquisition, rieche verbranntes Fleisch von Hexen und Ketzern, vom Menschen, deren „Verbrechen“ es war, selbst zu denken und ihrem Augenschein mehr zu trauen als einem alten Buch. Oder die einfach in einer falschen Kultur lebten und daher zwangschristianisiert, versklavt und ermordet wurden.

Dom Mainz
Dom Mainz

Ein Argument war, dass beispielsweise Galilei als christlicher Wissenschaftler gesehen werden könne – natürlich war er Christ, anderes war in dieser Zeit gar nicht denkbar. Ohne sich zum Christentum zu bekennen, war weder die Teilhabe an der Gesellschaft noch der Zugang zu Wissen möglich. Letztendlich wurde er von der Kirche zum Widerruf gezwungen und nicht etwa in seinen Forschungen gefördert.

Darwin war Zeit seines Lebens gläubig, seine Forschungen dienten der Erforschung des Plans des Schöpfers. Auch hier war die Vorstellung einer Welt ohne Schöpfer jenseits des Vorstellungsvermögens der meisten Menschen.

All das hatte seine Ursache in der dominanten christlichen Religion, die zunächst als katholische Kirche in allen Fragen die Deutungshoheit beanspruchte und keine Deutung neben sich gelten lies. Christen wurden zu Forschern trotz ihres Glaubens, aber nicht, weil sie Christen waren.

Elisabethkirche Marburg
Elisabethkirche Marburg

Auch das allmähliche Aufbrechen des Monolythen katholische Kirche durch das große Schisma, den englischen Sonderweg und die Reformation in Deutschland änderte zunächst nichts daran, schließlich wurde in keiner dieser Bestrebungen die grundsätzliche Gültigkeit der christlichen Lehre angezweifelt.

Erst mit der Aufklärung und der aufziehenden Moderne wurden Deutungsansätze jenseits des christlichen Weltverständnisses möglich, beflügelt von Fortschritten in der Erkenntnis der Welt. Forscher liefen zunehmend in einen Konflikt: ihre Erkenntnis stand im Widerspruch zur Lehre der Kirche, der einzig akzeptierten Wahrheit. Die Kirche bestand auf ihrer Version, der Forscher musste abschwören oder wurde geächtet und verfolgt, die Verbreitung ihrer Erkenntnisse verboten.

Ruine
Ruine

Die Jenseitsorientierung des Christentums macht eine Verbesserung der Lebensqualität zu überflüssigem Projekt, Leiden im Diesseits wird mit der Aussicht auf ein Jenseits akzteptiert und legitimiert. Die herrschende Ordnung gilt als göttlich, Ungerechtigkeit ist hinzunehmen.

Wenn das Sehen und Begreifen im Widerspruch zur Überlieferung steht und man anerkennt, das das Begriffene richtig ist und das Überlieferte nicht, dann erodiert das Vertrauen in die Überlieferung auch in Bereichen, in denen man (noch) nicht nachmessen, nachrechnen, beobachten oder verstehen kann und öffnet damit Raum für neue Deutungen.

Das Christentum und ihre Institution Kirche kann also keinesfalls als Antreiber des Fortschrittes gesehen werden, sondern stellt sich sehr deutlich als Hemmschuh dar. Die Bewahrung des Status Quo, der eigenen Deutungshoheit und damit der eigenen Machtbasis standen im Vordergund des Handelns. Die Entwicklung der Wissenschaft geschah trotz und nicht wegen der Kirche, Wissenschaft setzte sich nicht wegen, sondern trotz des Christentums durch.

Kirche Sarnau
Kirche Sarnau

Diese Haltung setzt sich bis in die Gegenwart fort: Keine christliche Kirche hat bis heute die Erklärung der Menschenrechte unterschrieben, trotzdem fordern sie Mitsprache und Anerkennung als moralische Instanz. Bis heute „bewertet“ die katholische Kirche wissenschaftliche Erkenntnisse nach ihrer theologischen Konsequenz.
Das Christentum hat das Gesicht der Welt über fast 2000 Jahre geprägt und tut dies immer noch.

Wäre die Entwicklung der Menschheit ohne das Christentum besser verlaufen? Nun, da das nicht passiert ist, lässt sich darüber nur spekulieren. Geistige Strömungen im griechischen und römischen Altertum sind teilweise deutlich vorwärtsgewandter und erkenntnisfreudiger gewesen, allerdings kann man nicht sagen, welche Strömung letztendlich beim Zusammenbruch der Antike gesiegt hätte. Man weiss es also nicht. Bitte tut mir den Gefallen und behauptet nicht, das Christentum habe die Welt besser gemacht. Diese bornierte Selbstüberschätzung muss ich entschieden zurückweisen, ein demütigeres Selbstbild stünde Christen besser.

Ein Gedanke zu „Zum Selbstbild des Christentums – ein Rant

  1. Ich finde es super spannend, wie viele verschiedene Religionen im Laufe der Zeit entstanden sind. Daher denke ich, dass es für Menschen irgendwie üblich ist, Glaube zu entwickeln. Eins steht für mich jedoch fest: Glaube entsteht aus Unwissenheit. Wenn man nicht weiß, dann glaubt man, um diese Lücke zu füllen und Dinge für sich erklären zu können. Und es ist okay, wenn es manchen Menschen etwas positives gibt. Ich allerdings sehe das anders. Vor allem das Christentum hat so grausame Schattenseite in der Geschichte. Und diese Welt wird dadurch nun gar nicht bereichert, vor allem in der Forschung nicht. Denen liegt vielmehr ein verdrehtes Weltbild zugrunde, wenn mit solch einer Überzeugung von sich gesprochen wird.

Kommentare sind geschlossen.