Kreistagssaal Marburg

Kommunale Selbstverwaltung in Zeiten der „Schuldenbremse“

Situation

Schaut man sich einmal die kommunale Selbstverwaltung an, fällt auf, dass der Spielraum für die Gestaltung, der ohnehin schon sehr eingeschränkt ist, durch die chronische Unterfinanzierung der Kommunen als der kleinsten, am Leben der Menschen am Nächsten stehenden Organisationseinheiten zusätzlich eingeschränkt wird.

Durch das Diktat der schwarzen Null und die Schuldenbremse verlieren Kommunen die sich verschulden faktisch ihre Selbstverwaltung, kommen unter einen „Schutzschirm“, werden vom Land beziehungsweise vom Regierungspräsidium verwaltet. Aus Selbstverwaltung und Bürgernähe wird rein am Budget organisierte bürgerferne Verwaltung von oben. Schon dadurch dass Haushalte vom Regierungspräsidium, also vom Land, genehmigt werden müssen, wird Selbstverwaltung und Selbstverantwortung ausgehöhlt. Die nach dem Buchstaben des Gesetzes existierende Selbstverwaltung von unten wird zu faktischem Top-Down.

Die kommunale Selbstverwaltung wird faktisch ausgehöhlt und besteht nur noch dem Buchstaben nach, nicht aber in ihrer Substanz. Die Organe der kommunalen Selbstverwaltung verkommen zu machtlosen Diskussionszirkeln. Man gibt ihnen dann auch noch die Schuld daran, sie hätten ja besser wirtschaften können. Die Verwaltung „von oben“ ist von den Bedürfnissen, Sorgen und Nöten der Betroffenen weit weg, was den föderalen Gedankens und damit letztendlich ein Grundprinzip unserer Demokratie aushöhlt.

Wenn das Lebensumfeld nicht mehr gestaltet werden kann und nur „von Oben“ verwaltet wird, steigt die Politikverdrossenheit und sinkt die Akzeptanz des Systems, letztendlich wird irgendwann unsere gesamte Grundordnung in Zweifel gezogen. Immer mehr Menschen fühlen sich nicht wahrgenommen, abgehängt und nehmen „den Staat“ als anonyme Macht, auf die sie keinen Einfluss haben, wahr, statt ihn als ihr ureigenes Instrument zur Gestaltung ihres Lebensraumes zu begreifen. Dieser Entwicklung gilt es zu begegnen.

Umgang

Mich erinnert das Ganze ein wenig an die Situation von Bauern im Mittelalter: Pächtern werden Pachten auferlegt, die sie spätestens nach einer Missernte nicht mehr leisten können, und sie geraten in Schuldknechtschaft. So werden aus freien Pächtern Leibeigene, so verlieren selbst verwaltete Kommunen und Kreise ihre Freiheit.

Wir müssen dieser Entwicklung etwas entgegensetzen, wir müssen dafür kämpfen, die Gestaltung unseres Lebensraumes wieder in die Hände derer zu bekommen, die von den Maßnahmen betroffen sind. Wir brauchen Gestaltungsspielräume ganz nahe bei den Menschen, Mitwirkung der Betroffenen. Auch notwendige Einschränkungen und Einsparungen lassen sich kommunizieren, wenn man sie im langfristigen Interesse erklären kann. Sparen muss immer ein Sparen für etwas sein, nicht Selbstzweck.

Profite und Gewinne müssen den Menschen dort zugute kommen, wo sie entstehen. So könnte die Akzeptanz von Windkraftanlagen und anderer Infrastruktur dadurch steigen, dass die Anlieger davon profitieren, daran beteiligt werden. Höhere Identifikation kann auch dadurch entstehen, dass Strom- und Kommunikationsnetze in Nutzerhand übernommen werden, lokale Genossenschaften die Grundversorgung übernehmen. So steigt die Identifikation mit dem Gemeinwesen, Gewinne können zum Wohl der Allgemeinheit genutzt werden statt dass man die Empfindung hat, nur die Nachteile für andere tragen zu müssen.

Außerdem muss die Bundes- und Landespolitik ihren Schwerpunkt wieder darauf setzen, das Leben der Menschen dort zu gestalten wo sie leben. Dort müssen die Mittel vorhanden sein, die Lebensbedingungen zu verbessern, notwendige Infrastruktur zu schaffen und zu erhalten. Dieses Ziel muss vordringlicher Zweck des Staates sein, der für die Menschen da zu sein hat und nicht als Selbstzweck. Der Staat und seine Ordnung ist am Ende des Tages auch nur ein Werkzeug, welches das Zusammenleben der Menschen zu organisieren hat. Wird es zum Selbstzweck, taugt es nicht, arbeitet es gegen die Interessen der Menschen, muss es so verändert werden, dass es seinen Zweck erfüllt. Dafür müssen Demokraten eintreten, wollen sie nicht die Zustimmung der Menschen verlieren.